Uneigentliches Sprechen, das doppelbödige Spiel von Ironie, Rollentausch und Camouflage, ist immer noch die Ausnahme in der Popmusik, einem Genre, das sich – leider gerade in seinen massentauglichen Teilen – häufig genug auf die drei Modi des süßlichen Schmachtens, des weinerlichen Jammerns oder des adoleszenten Kraftmeierns reduzieren lässt. Alles todernst gemeint, versteht sich, und stets so vorgetragen, als enträngen sich die entsprechenden Gefühle unmittelbar des Sängers Brust, als gäbe es keinen Unterschied zwischen der Person, die auf der Bühne steht, und dem „Ich“, von dem im Song die Rede ist. Lenas früher Ruhm beruhte mit darauf, dass sie diese Show auf die charmanteste Weise durchbrach und mit Vorliebe Lieder vortrug, die ihr Gelegenheit gaben, offensichtlich in Rollen zu schlüpfen und singend zu schauspielern bzw. schauspielerisch zu singen – von Diamond Dave, der augenzwinkernden Liebeserklärung an einen Hardrock-Shouter, bis zum bitter ironischen Einfrau-Miniatur-Theaterstück Foundations, vom lebensfrohen New Shoes bis zum tieftraurigen Mr. Curiosity: LML wollte nur spielen.
Mit ihrer Stimme – mal verletzlich, mal aggressiv, mal niedlich, mal zickig – verlieh sie den Songs eine Lebendigkeit, die von den Originalen häufig nicht erreicht wurde.
Wenn es eine gerechtfertigte generelle Kritik an Lenas beiden ersten Alben gibt, dann wohl die, dass die dort versammelten Songs – so schön die meisten von ihnen auch sind – ihr zu wenig Gelegenheit gaben, diese Gabe weiter schillern zu lassen. Mit der Ausnahme von Taken By a Stranger (dem vielleicht auch deshalb so viel Erfolg beschieden war) war Lenas Gesang auf Good News einfach zu unterschiedslos nett. Man könnte auch sagen: zu harmlos, zu trällernd. Zu viel süße Maus – zu wenig cool cat. Es war ausgerechnet der Monster-Hit Satellite, der es der alten Lenakatze immer wieder ermöglichte, ihre Krallen zu zeigen. Schon früh wurde erkannt, dass dieses Lied, welches textlich gesehen eigentlich ein übler Schmachtfetzen hätte sein können und in der Version Jennifer Brauns ja auch war, nur durch die expressive Kraft von Lenas rotzig-angriffslustigem Gesang (besonders in der Studioversion) in sein Gegenteil verkehrt wurde.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass es erneut John Gordon war (zusammen mit Ginger Mackenzie und Mathias Ramson), der Lena einen Song schrieb, bei dem sie wunderbar schräg und schnippisch klingen darf. Pink Elephant ist – wie LML in einem Interview selbst erläuterte – ein genervter Kommentar über eine Person, den rosa Elefanten, die wir als Typ alle kennen: Es handelt sich um die nette, aber leicht skurrile Bekannte von auswärts, die wir auf die coole Party unserer Clique mitgebracht haben, wo sie niemanden kennt. Da steht sie nun etwas hilflos rum und versucht auf plumpe Weise, sich an unseren In-group-Gesprächen zu beteiligen, haut dabei aber ständig daneben, weil sie unseren gemeinsamen Hintergrund nicht kennt und unsere Insider-Jokes nicht versteht: Pink elephant is in the room, and she is singing out of tune. Wir fühlen die auf sie gerichteten abschätzigen Blicke der anderen, als lasteten sie auf uns selbst, und je mehr sie versucht, bei den anderen anzukommen, desto peinlicher wird es uns. Wir reißen uns zusammen und müssen uns selbst immer wieder streng daran erinnern, dass wir diese Person eigentlich mögen – don’t wanna let this love die –, aber das wird immer schwieriger. Am liebsten würden wir so tun, als kennten wir sie nicht, aber das geht natürlich nicht – we can’t deny that pesky little fly, diese nervtötende Schmeißfliege –, und zu allem Überfluss wissen wir, dass sie – oh-oh … – nicht weggehen wird. Wohin auch, wir haben sie ja selbst angeschleppt. We’re stuck in a groove.
Serviert wird diese sarkastische kleine Geschichte zu einem rastlosen Fingerschnipsen und einem Arrangement, das am kompromisslosesten in Lenas Oeuvre die Bezeichnung Rock ’n’ Roll verdient: Der dominante Kontrabass, surf-inspirierte Gitarren, ein im Refrain hypernervös voran dreschendes Schlagzeug, satte La-la-Chöre throughout. (Sonny Boy Gustafsson, der für das Arrangement verantwortlich ist, hat offensichtlich eine Menge 70er-Jahre-Rock gehört in letzter Zeit, und das merkwürdige Intro muss ihm Richard O’Brien selbst im Traum eingeflüstert haben.) Dazu tobt Lena sich aus mit lustvoll-aggressiven hey! hey!’s und ätzt nicht nur gegen den schiefen Gesang des rosa Elefanten – la-la-la … –, sondern scheint nebenher noch – dum, dum, dum, dub-di-dum – über das Gezupfe ihres Kontrabassisten zu lästern. Das ist LML in ihrem Element: She’s doing every trick she knows.
Lena lässt sich zitieren mit der Aussage, es sei „eigentlich egal“, ob der rosa Elefant sie selbst sei. Immerhin weist sie damit dezent darauf hin, dass es zumindest möglich ist, die Sache so zu verstehen, dass sie in Pink Elephant über sich selber singt – genauer gesagt, sich über die Sichtweise lustig macht, die manche Menschen im Popbusiness auf sie haben oder gehabt haben mögen. Hier beginnt der Text des Liedes wunderbar zu schillern, denn er spielt mit gleich zwei englischen Redensarten: Einerseits bedeutet an elephant is in the room, dass ein Gedanke in der Luft hängt, über den sich alle im Klaren sind, den aber niemand laut auszusprechen wagt. Zum Beispiel: Wann ist dieses peinliche Casting-Sternchen, das so schräg singt, endlich wieder weg vom Fenster? Die war ja ganz süß am Anfang, aber jetzt beginnt sie zu nerven! Liest man es in dieser Weise, wird die Zeile An elephant is in the room. Well she knows! zu Lenas bewundernswert hingerotzter Antwort an ihre heimlichen oder auch offenen Verächter: Ich weiß, was ihr denkt! Andererseits aber heißt to see pink elephants schlicht das, was man im Deutschen als „weiße Mäuse sehen“ bezeichnet: Wer so etwas sieht, halluziniert oder ist besoffen. Da ist keine weiße Maus, nur eine bissige Katze, und sie ist drin, drin im Geschäft, und da kriegt sie niemand mehr raus. She’s not gonna go. Miau!