by pete
Vorbemerkung: Dieser Beitrag enthält die reine und objektive Wahrheit. Er möge daher in Marmortafeln geschlagen auf öffentlichen Plätzen aufgestellt werden.
Wir leben bekanntlich in der Postmoderne und haben daher gelernt, dass alles nur ein Film sei. Das ist ungeheuer vorteilhaft, da wir so bequemerweise über alles und jeden die willkürlichsten Urteile abgeben können, ohne über Sachkenntnis zu verfügen oder Verantwortung für unsere Urteile zu übernehmen, und nach Bequemlichkeit streben wir unbedingt. Vorbildlich in dieser Disziplin agiert das deutsche Feuilleton, und zur höchsten Blüte gelangte dieser gleichermaßen schalk- wie gaunerhafte Unernst in der Berichterstattung über Lena Meyer-Landrut. Wie das geht, demonstrierte beispielhaft Thomas Tuna vom SPIEGEL mit einer willkürlich zusammengestellten Liste von unvorteilhaften Zuschreibungen, die man angeblich von der Internet-Suchmaschine Google auf die Anfrage “Lena ist…” bekommt. (Auf die Anfrage “Thomas ist…” bekommt man bei Google übrigens Vorschläge, deren Unterhaltungs- und Erkenntniswert das Oeuvre Herrn Tunas bei weitem übertrifft.)
Doch die herablassende Attitüde des Feuilletons steht in grellem Gegensatz zur Wirklichkeit. Wollten Herr Tuna und seine minderbegabten Spießgesellen ihrem Publikum noch weismachen, dass quasi niemand mehr Lena hören oder sehen möchte, versetzte diese nun nach neun rundum gelungenen und heftig bejubelten Konzerten mit einem Zuschauerschnitt von über 8.000 bei zwei atemberaubend grandiosen Auftritten im Rahmen des Eurovision Song Contest (nämlich im sogenannten Juryfinale und im “Großen Finale”) über 60.000 Besucher in schiere Raserei. (Schön, dass das auch im SPIEGEL-online-Liveticker zum ESC-Finale dokumentiert ist.) So hat Lena zum Schluss also tatsächlich in einem ausverkauften Fußballstadion für Furore gesorgt, nachdem sie das bereits (was noch viel schwerer ist) neun Mal hintereinander in nicht ausverkauften Konzerthallen zuwege brachte. Übrigens wurde ihr zum Tourneeabschluss in Köln vor 11.000 Menschen seitens des Publikums eine derart eindringliche Kundgebung von Zuneigung entgegengebracht, dass die Hälfte ihrer zweiten Zugabe in einem Gemenge aus Herzballons, Blumen und Freudentränen versickerte. Was gar nichts machte, weil es so nur um so schöner war.
Das war übrigens vor allem deshalb so schön und gar nicht kitschig, weil Lena Meyer-Landrut ein richtiger Mensch ist; jemand, von dem Adorno in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Dialektik meinte, dass es ihn noch gar nicht gebe. Dieses Urteil mag im ersten Augenblick unerhört gewagt erscheinen; man mag sich fragen, woraus es sich speist. Die Antwort fällt leicht: Lena ist die wohl meistinterviewte, meistdokumentierte und meistfotografierte Person in Deutschland in den letzten 15 Monaten; aus den buchstäblich Hunderten von Interviews und Medienauftritten lässt sich ein einigermaßen zuverlässiger Eindruck von ihrem Charakter bilden, da Verstellung über eine solche Strecke von niemandem aufrecht erhalten werden könnte; zudem betonen alle, die sie außerhalb des Medienzirkus kennen, dass ihr privates Verhalten von ihrem öffentlichen Verhalten sich nicht unterscheidet. Die Sorglosigkeit und Fröhlichkeit, die Lena vermittelt, ist ja nur die alleroberflächlichste Impression von ihr; dahinter lassen sich Tugenden wie Furchtlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Integrität, Aufrichtigkeit, Humanität und Würde in starker Ausprägung erkennen. Und diese Charaktermerkmale sind es letztlich, die Lenas Gesang so einzigartig machen, weil sie eine originäre Interpretin ist; ihr Gesang ist Ausdruck ihres Charakters, und darum kann man sie zu Recht als Ausdruckssängerin bezeichnen.
Das ist dann auch der eigentliche Grund für den außergewöhnlichen Erfolg ihrer bisherigen Veröffentlichungen. Ihr Debütalbum My Cassette Player wurde bislang mit fünf Goldenen Schallplatten ausgezeichnet; der Nachfolger Good News, im Februar erschienen, hat bereits Platinstatus erreicht; ihre Konzert-DVD Good News Live landete unmittelbar nach Erscheinen Anfang Mai beim Internethändler Amazon gleich direkt hinter dem Spitzenreiter AC/DC. Ein solcher Erfolg ist gerade angesichts des ungewöhnlichen Stilmixes ihrer Musik durch keine äußerlichen Einflüsse hinreichend zu erklären. Die unbestreitbar dichte Medienpräsenz Lenas kann schon deshalb niemanden aus sich heraus zum Kauf ihrer Platten animieren, weil oberflächlich interessierte Betrachter ja jederzeit kostenlos in den Genuss ihrer Fernsehdarbietungen kommen können; zuletzt wurden Auszüge aus Lenas Konzert in Frankfurt nacheinander in der ARD, auf Pro7 und im NDR Fernsehen gezeigt. Gerade in Zeiten des immer wieder behaupteten angeblichen medialen Overkills Lenas muss man ihre Musik schon mögen, um dafür Geld auszugeben.
Daran zeigt sich, dass die wiederkehrende mediale Reduktion Lenas auf den Eurovision Song Contest vollkommen unberechtigt und substanzlos ist. Die im Vorfeld heftig diskutierte Frage, was nach Düsseldorf komme, beantwortete Lena entsprechend wie folgt: dass es jetzt erst richtig losgehe und dass sie hoffe, sie und ihr Publikum mögen noch ganz lange zusammenbleiben. Diesem Wunsch schließt der Verfasser dieser Zeilen mit Freude und Überzeugung sich an: erstens, weil Lena seine siebenundzwanzig Sinne vollumfänglich zu beglücken vermag und zweitens, weil es ein intellektuelles und sinnliches Vergnügen der Extraklasse darstellt zuzusehen, wie die Diskreditierungsroutine gelangweilter Feuilletonisten immer wieder von dieser in allen Klangfarben schillernden Pop-Prinzessin demontiert wird und quasi wie im Märchen das Gute über das Schlechte triumphiert. Da kommt das postmodern sozialisierte Gemüt doch immer wieder so richtig in Wallung.