by bates
An einem Tag in unbestimmter, nicht allzu ferner Zukunft.
Es ist still auf dem Rathausplatz in Hannover, nur wenige Spaziergänger sind an diesem regnerischen Tag unterwegs. Auf der Reeperbahn in Hamburg gießt es in Strömen. Vor den Düsseldorfer Cafés werden Stühle und Tische reingeräumt, gerade noch rechtzeitig vorm Wolkenbruch. Ein Mann mit bitterer Miene eilt noch schnell zum Kiosk. „Die Zeitung bitte!“ Er bekommt die BILD in die Hand gedrückt. In der BILD steht nichts über sie. Der Mann ärgert sich über etwas anderes.
Die B.Z. schreibt nichts über sie, die BUNTE nicht, die BRAVO auch nicht, aber dort war sie ohnehin nie ein Thema. Die Yellow Press lästert wie eh und je, mal über diesen Promi, mal über jenes Sternchen, doch über sie findet man heute weit und breit nichts. Udo Jürgens sagt nichts über sie, Ralph Siegel sagt nichts über sie und Heino auch nicht. Sie bekommt keine guten Wünsche von Lothar Matthäus, keine Karrieretipps von Roberto Blanco, keine hämischen Sprüche von Lou. Frank Elstner interviewt sie nicht. Der FOCUS sieht sie nicht als gutes Beispiel für Bewerbungsmappenauthentizität, ihr „Mut zum Ich“ ist für Helmut Markwort unbrauchbar. Keine Gesangslehrer dozieren über ihre Technik. Keine Sprachexperten reden über ihre Aussprache. Und Roger Whittaker hat immer noch nicht mit ihr gearbeitet.
Die Nation erkennt sich nicht wieder in ihr. Kein ganzes Land sehnt sich danach, so zu sein wie sie. Sie repräsentiert nicht die Jugend und sie repräsentiert nicht das Bürgertum. Niemand will sie als Gegenmodell für die Ausgesperrten und Abgeschafften missbrauchen. Der Bundespräsident überreicht gerade einer anderen Frau Blumen (er wird morgen nicht mehr wissen, wem).
Tief in den Kellern der Kommentarspalten wüten die Wütenden weiter vor sich hin. Nach wie vor ist der Anlass völlig beliebig. Manchmal vielleicht mag auch sie es sein, aber sie ist nur eine von vielen.
Nachmittags kommt die Sonne wieder raus, die Fanmeilen in den großen Städten füllen sich nun doch noch. Tausende von Menschen, eng zusammengepfercht, viele betrunken, die meisten mit Schwarz-Rot-Gold auf den Wangen, Fahnen und Hüten, alle laut, sehr, sehr laut, locker und unverkrampft. Der Anlass zum Feiern? Fußball, ein Song-Contest? Im Grunde ist der Anlass beliebig wie immer, Hauptsache feiern und Wir-Gefühl. Um sie jedenfalls geht es nicht (ging es das je?).
Die Parks sind immer so schön still und leer, wenn das Volk sich auf den Fanmeilen drängelt und sich wirfühlt. Da hinten auf der Parkbank sitzt ein Mensch mit Musik auf’m Ohr, er hat die Augen zu, er sieht glücklich aus. Dann beginnt es wieder zu tröpfeln.
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Der Mond kommt wieder durch die Wolken. Die Ausfallstraße ist noch klatschnass vom Regen. Baumärkte, Möbelmärkte, Supermärkte stehen dunkel und verlassen da. Vereinzelt ein Auto, hier und da ein Radfahrer, kein Fußgänger weit und breit. Es ist still. Doch aus der Halle am Ende der Straße hört man Bässe wummern.
Drinnen im großen Saal, der vollbesetzt ist bis auf den letzten Platz, brennt die Luft. Das Konzert nähert sich seinem Ende. Die Menschen sind verschwitzt und erschöpft und können trotzdem nicht genug kriegen. Sie tanzen, sie jubeln, sie singen mit, und alle, alle kleben mit ihren Blicken an ihr: die jungen Mädels vorne in der ersten Reihe, der Opa da auf dem Rang, die Kleine auf Papas Schultern, die drei urbanen Popkulturtypen, die den Kragen auf dem Weg zum Konzert nicht mehr hochgestellt hatten. Auch der Musikredakteur da hinten guckt ziemlich verstrahlt. Er hat vergessen, sich Notizen zu machen.
Nun aber geht sie, es war die dritte, die letzte reguläre Zugabe. Aber so leicht kommt sie ihnen heute nicht davon. Das Licht geht an, doch die Menschen klatschen und rufen einfach weiter. Keiner geht mehr, sie haben dazugelernt. Und dann, nach Minuten, kommt sie wieder auf die Bühne. Riesiger Applaus brandet auf, es ist laut, sehr laut, aber anders laut als auf den Fanmeilen: wärmer, wahrer, liebevoller. Sie strahlt, ihre Augen glänzen ein wenig. Dann kniet sie sich hin, wie schon so oft, und so wie beim ersten Mal. Die Band setzt ein, sie hebt das Mikro. A thousand bits, a million parts …, und um sie wird es ganz still. Und sie macht das Zeichen, und die, die hier mit ihr feiern, machen es auch. Drei Minuten des Glücks für die Ewigkeit.
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Schön war es von Anfang an, doch es gab auch viel Unschönes. Ganz viel davon hört jetzt auf. Das Schöne hat kaum begonnen anzufangen. This is only the start.